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Das Erbgut von Embryonen kann heute vor der Einpflanzung untersucht werden. Die geschieht in der Regel am Tag 5 oder 6, und die gewonnenen Zellen werden im hochspezialisierten Labor genetisch untersucht. Handelt es sich um Paare mit vorbestehender Erbkrankheit wie z.B. der cystischen Fibrose, so bezeichnet man die Methode als PID (Präimplantationsdiagnostik) bzw. PGT-M (preimplantation genetic testing for monogenic disease); handelt es sich hingegen um ein Testen aller Embryonen auf Neumutationen wie Trisomien oder Monosomien, so sprechen wir von PGT-A (preimplantation genetic testing for aneuploidy, Aneuploidie-Screening, früher als PGS bezeichnet). PGT-A kommt sehr viel häufiger zur Anwendung als PGT-M, darum bezieht sich der folgende Text schwergewichtig auf PGT-A.
2015 und 2016 stimmte das Schweizer Volk mit grosser Mehrheit von je 62% einer Liberalisierung der Fortpflanzungsmedizin zu. Neben der Möglichkeit, Embryonen tiefzukühlen, stellt die Präimplantationsdiagnostik den zweiten grossen Fortschritt dar. Nach einem sehr aufwändigen kantonalen Bewilligungsverfahren sind wir froh und stolz, die hier geschilderte Technik seit Anfang 2018 auch den von uns betreuten Paaren anbieten zu können.
Frauen und Männer haben je 46 Chromosomen. Eine Frau (links) besitzt zwei X-Chromosomen, ein Mann (rechts) ein X und ein Y.
Bereits in jungen Jahren weicht die Mehrzahl der natürlich entstandenen Embryonen von der normalen Chromosomenzahl ab, meistens weil die weibliche Eizelle dem Embryo statt eine Kopie eines Chromosoms deren zwei (führt zu einer Trisomie) oder gar keine (führt zu einer Monosomie) mitgibt. Diese Fehlverteilungen werden als Neumutation, bzw. präziser non-disjunction bezeichnet; die so entstandenen Embryonen mit zahlenmässiger Fehlverteilung sind aneuploid. Ihre Häufigkeit steigt mit zunehmendem Alter der Frau exponentiell an; dies ist die biologische Grundlage der steil abnehmenden Fruchtbarkeit wie auch der zunehmenden Häufigkeit von Fehlgeburten jenseits von 35 Jahren.
Das bekannte Zentrum in Valencia (Spanien) hat den Zusammenhang zwischen Alter der Frau und Anteil abweichender Embryonen untersucht:
Der Anteil abweichender Embryonen steigt stetig von 51.8% in der Altersgruppe unter 35 Jahren auf sage und schreibe 77.9% mit 41-42 Jahren an. Dabei ist zu berücksichtigen, dass man ausschliesslich Tag 5-Embryonen (Blastocysten) untersucht hat; hätte man die Embryonen, wie früher, am Tag 3 untersucht, so wären bei 42jährigen Frauen ganze 90% abweichend gewesen. Dies zeigt, dass bereits das Zuwarten bis zum fünften Tag zahlreiche Embryonen mit abweichendem Erbgut eliminiert und somit sinnlose Embryotransfers verhindert.
Als nächstes untersuchten die spanischen Forscher, wie es sich auswirkt, wenn ausschliesslich genetisch unauffällige Embryonen eingepflanzt werden (oben). Die Auswirkungen sind eindrücklich: auch über 40jährige können zu über 60% schwanger werden (statt zu 20% ohne PGT-A) und haben deutlich weniger Fehlgeburten. Voraussetzung ist natürlich, dass dem Paar solche Embryonen überhaupt zur Verfügung stehen:
Natürlich kommt die 60prozentige Schwangerschaftsrate der 41-42jährigen zu einem Preis: nur 59.6% Prozent von ihnen kamen in den Genuss eines Embryotransfers, und die übrigen 40% erhielten - nachdem sie über 10'000 Franken aufgewendet hatten - die Mitteilung, dass sich kein einziger geeigneter Embryo gebildet hatte. PGT-A ist nur ein Selektionsinstrument, welches den betroffenen Paaren mit «offenem Visier» und teils schonungslos vor Augen führt, wie es um ihre Embryonen steht. Ich bin immer wieder beeindruckt, dass Schweizer Paare lieber die Zusatzkosten in Kauf nehmen, als dass sie chancenlose Embryonen einsetzen lassen würden.
Das «Aussortieren» genetisch abweichender Embryonen stiess auf politischen und ethischen Widerspruch. Stimmt der Vorwurf, dass mit PGT-A kaltherzig Embryonen abgewählt werden, die lebensfähig gewesen wären? Dafür müssen wir eine weitere Grafik betrachten.
In einer Studie aus New York wurden 1069 abweichende Embryonen untersucht.
Nur 4% hatten eine Trisomie 21, die übrigen 96% wiesen eine andere der 46 möglichen Fehlverteilungen auf (Klick auf Bild zeigt Originaldaten).
Nur die Trisomie 21 (Down-Syndrom) führt zu lebensfähigen Kindern, allerdings mit unterschiedlich ausgeprägten Fehlbildungen bzw. Behinderungen. Die übrigen 96% der untersuchten Embryonen waren somit gar nicht lebensfähig. Sie hätten zu einem Misserfolg der Behandlung oder, schlimmer, zu einer psychisch wie physisch schmerzhaften Fehlgeburt mit weiterem Verlust wertvoller Zeit geführt.
Bild rechts: Embryo-Biopsie (sogenannte Trophectoderm-Biopsie) mit Laser. Dabei werden 5 bis 10 (von total 300) Zellen der Blastocyste entfernt, und zwar von jenem Teil, der zukünftig die Placenta bilden wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Embryo die Biopsie, das anschliessende Einfrieren und spätere Auftauen überlebt, beträgt über 90%.
Anschliessend wird das winzige Gewebestückchen fachgerecht ins beschriftete Röhrchen transferiert und per Kurier ins genetische Speziallabor der Firma Igenomix in Spanien transportiert. Die Ergebnisse liegen in etwa zehn Tagen vor.
Präimplantationsdiagnostik mit Aneuploidie-Screening (PGT-A) ist ein vielversprechendes, zeitgemässes, nun auch in der Schweiz erlaubtes Hilfsmittel für IVF-Paare in schwierigen Situationen und/oder mit zerrinnender Zeit. Der wichtigste Motivator werden wohl erlittene Fehlgeburten sein.
Nicht alle IVF-Paare werden die PGT-A durchführen, nur schon aus Aufwand- und Kostengründen, aber für die oben genannten Patientengruppen stellt sie einen grossen Fortschritt dar.
PGT-A erkennt in 96% der Fälle Embryonen, die ohnehin völlig chancenlos wären und zu Fehlversuchen bzw. Fehlgeburten geführt hätten.
PGT-A verbessert die Effizienz schwieriger Behandlungen, verhindert schmerzhafte Fehlgeburten und kann bei älteren Frauen den Unterschied zwischen Kind und Kinderlosigkeit ausmachen.
Die gesellschaftliche Kontroverse über die vorgeburtliche Erkennung von Trisomie 21 kommentiere ich auf einer eigenen Seite; grundsätzlich darf man keine Frau zwingen, eine «Schwangerschaft auf Probe» einzugehen und dann - völlig legal - die Diagnose der Trisomie 21 erst mit 11-12 Schwangerschaftswochen zu erfahren, nur um dann über Abtreibung nachdenken zu müssen.